Redebeitrag 12.01.2015

wie versprochen hier der Beitrag, den Martin Osinski stark gekürzt vorgetragen hat:

Sehr geehrter Herr Landrat Reinhardt,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Golde,
liebe Schülerinnen und Schüler,
liebe Neuruppinerinnen und Neuruppiner,
Meine Kolleginnen und Kollegen und ich organisieren die Beherbergung, Beratung und Betreuung der Asylbewerber, die unserem Landkreis OPR zugewiesen werden. Aus dieser Arbeit will ich heute zu vier Stichpunkten etwas sagen.

Mein erstes Stichwort heißt „Solidarität“. Wir erleben tagtäglich riesige Hilfsbereitschaft aus der einheimischen Bevölkerung. Wir bekommen Spenden in großer Menge und Vielfalt – Bekleidung, Kinderspielzeug und auch Geldspenden. Menschen melden sich, um mit den Asylsuchenden die deutsche Sprache zu üben. Andere kümmern sich um die Beschäftigung der Kinder im Übergangswohnheim, wieder andere helfen bei der Wohnungssuche, vermitteln Arbeitsangebote oder Rechtsberatung. Nicht zuletzt: Ihr Schülerinnen und Schüler helft bei der Integration, denn auch für junge Asylsuchende gilt die Schulpflicht. – Die Medien sind in diesen Tagen voll von Pegida, aber unser Arbeitsalltag ist anders – besser, heller, weltoffener als Dunkel-Dresden. Das macht mir Mut!

Das zweite Stichwort heißt „Angst“. Angst ist meistens ein gesundes Gefühl, das uns vor Gefahren schützt und davor, unsere Gesundheit und unser Leben auf’s Spiel zu setzen. Angst ist ein Thema für jeden Menschen, der aus seiner Heimat flieht. Asylsuchende haben furcht einflößende Situationen erlebt, haben reale Bedrohung und existentielle Furcht erfahren. Auf der anderen Seite haben sie Angst vor dem Neuen, Unbekannten. Wer zum Beispiel den gefahrvollen Weg von Eritrea durch die Sahara über das Mittelmeer auf sich nimmt, hat einen furchtbaren inneren Kampf durchgemacht, bei dem letztendlich die Angst vor dem Bleiben schlimmer war als die Angst vor der unbekannten Zukunft. Wir sollten das im Kopf behalten, wenn rechte Volksverhetzer von Wirtschaftsflüchtlingen schwafeln.

Andere Ängste höre ich aus der deutschen Bevölkerung, wenn wir in Bürgerversammlungen über die Aufnahme von Asylsuchenden informieren. Da geht es um Befürchtungen um unsere Gesundheit, um Leib und Leben, um Hab und Gut – Krankheiten und Kriminalität werden thematisiert, die vermeintlich von den Fremden ausgehen könnten.

Auch das ist Angst vor dem Neuen, Fremden, Unbekannten. Aber eigentlich sind alle Informationen zugänglich, die die Menschen benötigen, um sich von diesen Sorgen zu befreien. Wer seine irrationalen, unnötigen Ängste los werden wollte, der hätte dazu die Möglichkeit – davon bin ich fest überzeugt. Die Polizei bestätigt uns, dass die Kriminalitätsrate nicht durch die Asylsuchenden steigt. Das Gesundheitsamt informiert über umfassenden Schutz vor Ansteckung. Das Wissen ist also verfügbar. Leider entscheiden sich viele Menschen gegen die Erkenntnis, gegen die persönliche Begegnung. Leider laufen viele Menschen lieber Demagogen mit einfachen Weltbildern hinterher.

Man kann Menschen mit Angst gefügig machen und instrumentalisieren. Die das tun, ob Marie le Pen in Frankreich, 0b Alexander Gauland von der AFD in Brandenburg oder Lutz Bachmann von Pegida – sie alle handeln verantwortungslos und laden schwere Schuld auf sich. Ich fordere von allen demokratischen Politikern bis hin zur CSU klare Absagen an diese Brandstifter.

Drittes Stichwort: „Gerechtigkeit“. Oft geht es offen oder verdeckt um die Sorge, vom eigenen Besitzstand etwas abgeben zu müssen – das Wartezimmer beim Arzt sei jetzt schon überfüllt, in Kindergarten, Schule und Bus gebe es keine Plätze mehr, und überhaupt reiche unser deutscher Reichtum nicht für die ganze Welt…

Ein Neuruppiner hat neulich den klugen Satz niedergeschrieben: „Die Asylsuchenden fliehen zu uns – vor der Politik von uns.“ Ich finde, der Mann hat recht. Wir leben in einer globalisierten Welt, in einer deregulierten, chaotischen, ungerechten Welt. Multinationale Konzerne profitieren davon, dass sie rund um den Globus Rohstoffe gewinnen, Güter produzieren, Dienstleistungen nutzen können. Syrien explodiert, Russland steckt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Und wir freuen uns über den niedrigen Benzinpreis, ohne eins und eins zusammen zu zählen. In dieser ungerechten, widersprüchlichen Welt tue ich mich schwer, zwischen guten und schlechten, richtigen und falschen Fluchtgründen zu unterscheiden. Sollten wir nicht erst mal den Menschen an uns ranlassen, bevor wir über ihn urteilen?

Zu „Gerechtigkeit“ gehört auch folgendes: vergessen wir bitte nicht die zweitausend Menschen, die Boko Haram allein in der vergangenen Woche in Nigeria ermordet hat. „Je suis Charlie“ muss auch bedeuten „Wir sind Baga“ – das ist eine Stadt im Norden Nigerias, die Boko Haram dem Erdboden gleich gemacht hat. Wer entscheidet eigentlich, welche Nachrichten uns erreichen?

Viertes und letztes Stichwort – „Terrorismus“.
– Oder Islamismus, oder Religionsfreiheit, oder Pressefreiheit? Ich will nicht so tun, als sei das Durcheinander in meinem Kopf kleiner als in Eurem. Ich warne vor den Verführern mit den einfachen Erklärungen – ich selbst habe auch keine einfachen Antworten. Mir spricht Deniz Yücel aus der Seele, ein taz-Redakteur, der vergangenen Mittwoch in einem Kommentar schrieb, ich zitiere:

„Die Leichen in Paris waren noch nicht kalt, als die Ersten in Deutschland versuchten, sie für ihre Zwecke zu vereinnahmen: Pegida, Alexander Gauland von der AfD, einschlägige Webseiten, am Ende sogar die NPD, die auf ihrer Facebookseite erklärte, nun ebenfalls Charlie zu sein. Diesen Leuten sind ein paar linksliberale Karikaturisten scheißegal, sie freuen sich nur wie Bolle, ihre Ressentiments bestätigt zu sehen.
Denen rufe ich zu:
Wagt es nicht, die Toten von Paris zu instrumentalisieren. Denn für euch hätten die Satiriker von Charlie Hebdo zur „Lügenpresse“ gehört. Ihr könntet ahnen, was die (…) für euresgleichen in Frankreich übrighatten. Was die Titanic, der Postillon oder die „heute-show“ für euch übrighaben: nüscht. Absolut nüscht. Außer Kritik, Spott und Verachtung.
Ihr habt kein Recht, euch der ermordeten Satiriker zu bemächtigen.
Denn die waren, wie alle guten Satiriker, Humanisten. „Gekränkte Idealisten“, wie es Kurt Tucholsky einmal formulierte. Ihr Antrieb war die Verzweiflung über inhumane Verhältnisse in der Welt, gegen die sie ihre Waffe richteten: den Humor. (…)“
ich lasse einiges weg und zitiere weiter:
„Ich wünsche jedem islamischen Vorbeter und seinem Nachbeter, der der Verurteilung des Mordes ein „Aber“ hinterherschiebt, lebenslang Dresden an den Hals.
Dieses „Aber“ war am Mittwoch nicht in offiziellen Stellungnahmen in Deutschland zu hören, dafür umso mehr in sozialen Netzwerken. Und es sind weniger irgendwelche Salafisten, nicht mal allein Muslime, die sagen: Ja, schlimm. Aber die haben ja provoziert. Aber man müsse die religiösen Werte und Gefühle respektieren. Aber die Islamophobie. So formulierte es beispielsweise der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. Es ist exakt dasselbe verlogene und beschissene „Aber“, wie man es von den Klemmrassisten von der AfD und Pegida kennt: „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber …“
Es gibt kein Aber.
Genauso unerträglich ist die Formel, die Morde von Paris hätten nichts mit dem Islam zu tun, die nun allenthalben bemüht wird, ob nun aus Furcht vor einem Aufflackern des Rassismus oder aus weniger ehrenhaften Gründen. Es ist Blödsinn. Denn den Islam gibt es nicht, der Islam ist die Summe dessen, was diejenigen, die sich auf ihn berufen, daraus machen.
Und was ein nennenswerter Teil daraus macht, ist Barbarei. Ob die Fatwa gegen Salman Rushdie oder der Mord an Theo van Gogh – in der jüngeren Geschichte waren es fast immer Muslime, die mit Gewalt gegen die Freiheit der Kunst vorgingen. Und stets konnten sich die Anstifter und Mörder darauf verlassen, dass eine Reihe von Menschen im Namen des Islam oder des Antirassismus ihrer Tat mit einem verdrucksten „Aber“ mindestens eine gewisse Berechtigung zubilligen würden. Das kollektive Dauerbeleidigtsein haben die Muslime ziemlich exklusiv; das Verständnis in einem Teil der linksliberalen Öffentlichkeit ist ihnen gewiss. Die Mörder sind eben nur ganz besonders Beleidigte.
Charlie Hebdo hat nicht allein muslimische Frömmler und Fundamentalisten verspottet, sondern auch christliche oder jüdische. Anschläge und am Ende der Mord kamen nur von einer Seite: von Muslimen. Darum haben auch die Muslime ein Problem. Sie schaden sich selbst, wenn sie sich das nicht eingestehen und sich hinter Phrasen wie „Der Terror hat keine Religion“ verstecken. Sie schaden der Wahrheitsfindung. Und wer den Befund nicht kennt, wird keine Linderung finden. Es sind nicht alle Katzen grau. So wie Pegida eben kein gesamtdeutsches, sondern ein ostdeutsches Phänomen ist.
Aber, auch diese Differenzierung muss sein, rassistische Dumpfbacken sind nicht dasselbe wie kaltblütige Killer. Die Entsprechung der Mörder von Paris ist nicht Pegida, sondern Anders Behring Breivik. Doch faschistische Killer entstehen in einem geistig-politischen Umfeld, das Mord und Terror zwar ehrlich verurteilt, aber grundlegende Ansichten und Gefühlslagen mit den Mördern teilt.

Die ermordeten Zeichner und Journalisten von Charlie Hebdo sind – man muss das so pathetisch formulieren – Helden. Nicht durch die Umstände ihres Todes sind sie dazu geworden, sie waren es vorher schon. Weil sie, im wahrsten und im schrecklichsten Sinne des Wortes, unerschrocken für liberté, égalité, fraternité gekämpft haben. Dieser Kampf wird bleiben, und er findet in Frankreich, in Deutschland und anderswo an mehreren Fronten statt. Und noch etwas wird bleiben: ihr Werk.
Ich verneige mich.“

Zitat Ende (Deniz Yücel, taz 07.01.2015; http://www.taz.de/Kommentar-Je-suis-Charlie-Hebdo/!152463/ )

Krumbiegel: https://www.youtube.com/watch?v=Hud7aCzRkqs

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